Vertreibung aus dem Paradies?

Veröffentlicht am 13. Mai 2023 um 07:17

Das wirkliche Nepal.....ein Beschreibungsversuch

Ich traf meine Reisegruppe in einem alten, ehemaligen kleinen Palast in Thamel, im  Zentrum von Kathmandu. Die wunderschönen Schnitzereien der Fenster und Türen, in Kombination mit dem roten Klinker-Mauerwerk zogen mich schnell in ihren Bann. Die traditionelle Bauweise in der Stadt strahlte Ruhe und Gediegenheit aus und ließ mich an ganz alte Zeiten denken. Vor meinen Augen tauchten 1000 und eine Nacht auf, Frauen in Seidengewändern und Männer mit Turbanen, mit Federn geschmückt. So sehen heute nur noch die Brautpaare aus, wenn sie vermählt werden – eine Anleihe an Königin und König aus ganz alten Zeiten

Aber wir sind im 20sten Jahrhundert und Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Kasten halten sich wohl immer noch sehr an die Grenzen und so ist reich, wer reich ist und arm wer arm ist…und das ist deutlich die Mehrheit. Die Reichen leben ganz nach dem Beispiel der anderen asiatischen Länder, das Vorbild war wohl die USA, in eher „gated communities“. Zumindest schotten sie sich in ihren Neubauten, die so gar nichts mehr mit den alterhrwürdigen Bauten des Mittelalters zu tun haben, durch große Tore und mit Piken besetzen Zäunen ,massiv ab.

Der Rest lebt in unseren Augen eher ärmlich. Wie groß die Mittelschicht ist, kann ich nicht beurteilen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist mittlerweile in die Städte Kathmandu und Pokhara im Westen, sowie in den Süden, jenseits des südlichen letzten Gebirgszuges an der Grenze zu Indien, gezogen. Im Kathmandutal leben sie weitgehend in Geschosswohnungsbauten, enge Wohnungen in einer Dunstglocke von Abgasen eingehüllt, selten ein Ausblick über die atemberaubende Landschaft

War das Tal früher ein Paradies, die Höhe von ca. 1400 m  sorgte für ein gemäßigtes Klima, so dass Reis und andere Erdenfrüchte gut gediehen, frißt sich seit Jahren die Stadtkrake in jede Ecke des Kathmandutals. Hier wohnen heute annähernd 5 Mio. Menschen.

Je weiter man auf das Land kommt, desto kleiner werden die Häuser, sie sind eher Hütten, 1, maximal 2 Räume. Früher aus Lehm- und Kuhdung erbaut und mit Schilf belegt  (ähnlich wie unsere Lehmfachwerkhäuser mit Reet) boten sie Schutz vor Hitze und wärmten im Winter. Aber wer kann es diesen Menschen verdenken, dass auch sie, so wie wir wohlhabenden Menschen aus den Industrieländern, sich nicht mehr die Augen entzünden wollen durch den Rauch eines offenen Feuers oder immer in Dunkelheit sitzen müssen, da Fenster Kälte- und Hitzebrücken sind und außerdem die Moskitos hereinlassen. Und so entstehen allerorten Häuser in Stahlbetonskelettbau (dem Schutz vor Erdbeben geschuldet), ausgemauert mit Sandstein und verkleidet mit glasierten Riemchen, kleinen bunten Fliesen, die eher nach Indien (aber auch da nicht wirklich) passen, als nach Nepal.

In den unter Denkmalschutz gestellten Städtchen, beschützt von der UNESCO, wird ebenso gebauen allerdings werden hier versiegelte rote Klinker, wie in den alten Zeiten, als aussenhaut verwendet. So passen sich diese Neubauten optisch in die historischen Stadtbilder ein.

Allerdings begehen die Nepalesen, in meinen Augen, wie überall auf der Welt, wo Wohnraum teuer und knapp ist und wo er noch dazu schnell erstellt werden soll, den gleichen Fehler….sie bauen zu hoch und zerstören so die typischen Städtebaulichen Silhouetten, ob im Dorf oder in der Stadt.

Wie mag es denen gehen, die immer noch in ihren kleines dunklen Hütten und Häuschen leben?

Der Klassenunterschied schreit laut in diesem Land, Korruption wird allgemeinhin beklagt und ich habe sie am eigenen Leib erlebt, die Infrastruktur besteht aus vielen Anfängen und wenig Beendigungen.

Was aber allen städtebaulichen Strukturen gleich ist, sind die unzähligen Ladengeschäfte in unzähligen Ladenzeilen. In den gehobenen Gegenden versehen mit Scheiben hinter denen edle Auslagen mit Klimaanlage zu bewundern sind, in den Alltagsbereichen aber werden die Läden nur mit Rolltoren in der Nacht abgeschlossen. Tagsüber wird hier alles feilgeboten. Vom frisch geschlachteten Rind bis hin zu Rohseide oder herrlich duftender Gewürzen.

Unschwer sich vorzustellen, dass hier das Leben tobt, bunt, laut mit starken Gerüchen. Hier wird ge- und verkauft, in den Garküchen wird schnell gegessen, Masalatee trinkend und das Neueste austauschend. Menschen des mehrheitlichen Alltags finde ich hier …. die Anderen, diejenigen die Bedienstete haben, diejenigen die machen lassen, sind wenig sichtbar.

Diese Ladengeschäfte finden sich überall im Land, in jeder Stadt, in jedem Dorf. Sie sind der Puls des Lebens. Die Dörfer sind nicht öde, wie oft in (Nord-)Europa … man kann nur hoffen, dass neu entstehenden Malls und Kaufhäuser, noch sind es Wenige, dieser Lebendigkeit kein Ende bereiten.

Nun darf man sich das aber nicht still beschaulich und aufgeräumt vorstellen. Noch vor 30 oder 40 Jahren, als die Hippies Nepal aufgrund der Schilderung von James Hilton 1933 vom Shangri-La, einem Sehnsuchtsort, wo Frieden, Stille und Erleuchtung Einzug gehalten haben, (er wurde nie gefunden) , überfluteten, fuhren keine Autos, waren die Straßen eher Wege und die Grasnaben hielten den Staub unter den Wurzeln in der Trockenzeit. In der Regenzeit grünte alles. In den Städten gab es Tuk-Tuks (Mopeds mit Fahrerkabine), die knatterten auch, aber was ist das gegen das Heute.

Tausende von Motorädern ballern durch die Straßen. Man schafft sich Platz durch Hupen: leise, laut schrill, penetrant. Die Autos behaupten sich ebenso, gemeinsam verstopfen sie die Straßen. Fußgänger müssen mutig sein, einfach loslaufen. Ich habe immer einen Stock dabei, den ich hochhalte und den Fahrenden damit Einhalt gebiete. Nun ist es aber nicht so, dass die alle geordnet fahren, nein, sie bilden 3-4-5 Spuren, überholen, schneiden, stoppen oder setzen zum Sprung an. Das Wunder: es funktioniert, ohrenbetäubend zwar, aber es funktioniert und ich gelange jedes Mal lebendig auf die andere Seite.

Aber es strengt ungemein an!

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Cornelia Wagner
Vor einem Jahr

Hallo Brigitte,
was du über Kathmandu schreibst, ist ja echt desillusionierend. Mir war natürlich klar, dass dort keine Idylle mehr herrscht, aber dass die Verhältnisse so sind, wie du sie darstellst, war mir nicht klar. Ob ich da über die Straße kommen würde...?
Jetzt mache ich erst mal Lesepause und melde mich, wenn ich weitergelesen habe.
Dir viel Power und alles, alles Gute
Cornelia