Einmal radeln in den Himmel und zurück: Alpes 2 Ocean

Veröffentlicht am 20. Oktober 2023 um 05:59

Am 13. Oktober erreichte ich den Lake Tekapo bei strahlendem Sonnenschein. Der See liegt zu Füssen der hohen schneebedeckten Gipfel auf der Südinsel, der höchste, Mt. Cook, überwacht sie alle. Das Motel war charmelos, aber sauber und am nächsten Morgen wurde ich von Cycle Journeys, meiner Agentur, eingesammelt und an einer Kreuzung zum Trail bei heftigstem Wind, aber immer noch Sonne, abgesetzt.

Zwischendrin stand ich mal einer ganzen Rinderherde gegenüber, die mit ihren scharfen Hörnern echt gefährlich aussahen. Sie stoppten in einer Reihe und glotzen mich, nicht sehr freundlich, an. Ich verdrückte mich ganz an den Rand des Weges, um die vorbei zu lassen, da hört ich schon das Gebell eines Hundes. Er sprang aus dem Begleitwagen, das weit hinter den Rindern zu erkennen war, sauste in Windeseile auf mich zu … bremste bei den Rindern, umrundete sie und zwang sie so, gesittet und brav an mir vorbei zu laufen. Uff…ich war beruhigt.

Das Rad war klasse. Es konnte alles, was es sollte. Ich hatte Hähnchenschenkel als Lunch eingekauft und so radelte ich los. 45 KM, das war gut zu schaffen. Der Weg führte mich an einem Kanal bergabwärts, schneebedeckte Bergmassive erhoben sich rechterhand zum Norden, links begannen schon die Kraterfelder und -Berge der früheren Vulkane: schwarze Erde. Das türkisfarbene Wasser der Seen und Flüsse, der knallblaue Himmel und die gleißende Sonne und Rückenwind …alles zusammen ließen mich innerlich jubilieren. Ich war in den Alpen von Neuseeland…wouwww…kaum zu fassen.

Am Nachmittag erreichte ich Twizel, die Landschaft war hier ein vulkanisch anmutendes Hochplateau, der Ort war klein, charmelose Neubauten, eingeschossig, langweilig aber mit einem kleinen Kern, in dem es alles gab und der lebendig war.

Weiter ging´s am Morgen den Kanal entlang, das türkisfarbene Band des Kanals wies mir den Weg, über eine Straße zwischen Bergrücken. Ich wurde quasi hinuntergeschoben, so angenehm, kein Wind von vorn. Und dann ertönte ein greller piepender Ton. Ich wusste gar nicht was los war, realisierte dann, das muss vom Telefon gekommen sein und so war es auch. Der Katastrophenalarm war ausgelöst worden und der Begleittext sagte: schwerer Sturm am Nachmittag, mit herumfliegenden und entwurzelten Bäumen muss gerechnet werden. Das beschleunigte meine, bis dahin noch recht gemütlich, Fahrgeschwindigkeit um einiges.

Ankommen in der Ohau-Lodge, das war die Devise…noch 25 Km. An meinem Abzweig, der mich weg von der Straße führte, der baumlos keine Gefahr darstellt, traf ich auf eine Radfahrerin aus Twizel, die nach Hause wollte. Dahin woher ich ja gerade kam. Auch sie hatte die Meldung bekommen. Wir tauschten unsere Nummern aus, um uns gegenseitig zu informieren, ob wir gut angekommen sind. Falls keine Nachricht eintreffen sollten, würde jeweils diejenige, die keine Meldung hatte, die Polizei benachrichtigen, da zu vermuten war, dass etwas passiert sein könnte.

Ich radelt also weiter, beruhigte mich schließlich und genoss einen Traumpfad durch Ginster entlang eines Seeufers, der von hohen Vulkankegeln begleitet wurde. Ich überholte noch 2 Frauen, die auch schon am Vortag auf meiner Route waren. Der Himmel begann sich zuzuziehen, die Wolken wurden dunkler, der Wind heftiger. Ich erreichte schließlich die Zubringerstraße zur Lodge und musste die Richtung wechseln. Gegenwind knallte mir ins Gesicht, noch 10 Km, das war ja wohl zu schaffen. Die Straße führte stetig bergauf, die Wind nahm zu, die Tannen standen hoch und nah an der Strasse, der Wind blies und blies, wurde immer mehr zum Sturm. Es war 15.00….wie angekündigt: der Sturm war da. Meine Lunge kollabierte fast, ich trat in die Pedalen und fuhr auf höchster Stufe, normalerweise läuft das Rad dann wie von allein. Aber hier ging es nur langsam, der Sturm hielt mich ja fast auf der Stelle…Dann endlich das Gatter der Lodge, Regen setze ein und bevor sich der Himmel dann richtig öffnete landete ich keuchend, knallrot im Gesicht und fix und fertig in der Lobby der Ohau Lodges. Grund Gütiger, was so schön und hinreißend begann am Morgen endete ich einer …in letzter Minute geschafft…Situation.Ich hatte schon 2 Nachrichten: bist du gut angekommen, ich bin in Twizel. Ich antwortete schnell, damit sich meine Sicherheitsbekanntschaft an der Wegbiegung keine Sorgen mehr machen brauchte.Ein heißes Bad und ein heißer Tee retteten mich.

Die Ohau-Logge ist eine Art Skihütte für Radfahrer und Wanderer auf hohem Niveau. Wir allen saßen abends an großen Tischen, es gab drei Gerichte zur Auswahl…lecker…und so endete der Tag mit 3 Buddhisten aus Melbourne (die 2 Frauen von unterwegs und einer der Ehemänner) und einem Paar, dessen männlicher Teil in Begriff war, für die neuseeländische Regierung nach Brüssel zu gehen. Sehr unterhaltsam, bis sich mein Gehirn überschlug und ins Bett wollte…denn…die Neuseeländer sprechen ein Englisch, das wir Maschinengewehrfeuer klingt. I got lost, totally! Gute Nacht!   Am nächsten Morgen, es regnete Bindfäden, dachte ich, ich hätte verschlafen. Kein Mensch im Essraum, kein Einziger. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, alle Gäste saßen mit ihren Frühstückstellern auf den Knien vor dem Fernseher: Rugby, Halbfinale…ein heiliger Gral für die Neuseeländer und sie haben gewonnen, ein neuer Nationalfeiertag bis zum Finale 2 Wochen später.

Danach brachen alle auf. Es war 0°, die Tour sollte 300m ansteigen auf Schotterpfaden, schmal, teilweise bei der Abfahrt steil und sich in schmalen Haarnadelkurven windend, auch Snaketrail/ Schlangenpfad genannt.. Schnee war auf dem Gipfel zu erwarten. Die Buddhistinnen luden mich ein, mit ihnen zu fahren, aber ich war noch nicht so weit. Als die Lodge mir ein Emergency Walki-Talki anbot klingelten bei mir alle Glocken. Ich zog die Reißleine und rief den Shuttelbus. „Good on you!“ (eine Redewendung, die ich hier tausendmal gehört habe: heißt, gut gemacht)…so begrüßte mich der Fahrer Beete, als er mich einlud mit Rad um Gepäck und mich zum nächsten Etappenziel: Omamara, fuhr.Und so hatte ich einen sehr ruhigen, trockenen Tag in meinem nächsten Ort Omamara und traf abends die Buddhisten im Hot Pool. Sie hatten gefrorene Beine, waren komplett mit Schlamm bespritzt und hatten 6 Stunden für diese 35 KM gebraucht ……….good on you, Brigitte, war ihre Begrüßung im Hot Pool und good on you, Brigitte, sagte ich dann auch zu mir! 

Der nächste Morgen begann früh für mich, es sollte eine 80KM Strecke werden, die hatte ich sofort auf 45 Km gekürzt. Mein Shuttel erwartete mich bereits um 12.00 in Omamatata und so brach ich um 7.00 auf um viel Zeit zu haben, nicht in Stress zu geraten. Ein wunderschöner Weg entlang eines Sees gesäumt von erblühenden Birken - es war ja Frühling, vorbei an Weingütern und über Schafsweiden. Langsam ansteigend verengte sich der bislang breite bequeme Weg in einen Trail mit 80 cm Breite, Schotterbelag, noch feucht, bisweilen nass, vom Regentag zuvor. Nun, der lag hinter mir und ich genoss den Blick auf die dem See  gegenüberliegenden Berge.Vor mir erhob sich ein kleiner Berg und der Pfad wand sich um seine steile Seite, die zum See abfiel und verschwand in richtung Ziel. Ich folgte und erreichte die Biegung, der Ausblick lag offen vor mir…der Pfad war quasi in den Berg geschnitten und unter mir platschten die Wellen des Sees an das Steilufer. Die Steigung war erträglich – noch –  und so dachte ich mir nichts dabei weiter zu fahren, war doch die Aussicht umwerfend. Das ich von dieser dann nichts mehr mitbekam, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Aber bald schon wurde der Pfad steiler, der Höhen-Abstand zum See vergrößerte sich und aus der anfangs steilen Böschung wurde eine 100 Meter tiefe Steilküste. Meine Augen waren nur noch auf den Pfad geradeaus gerichtet, eine kleine Unachtsamkeit und ich hätte das Gleichgewicht verloren, wäre in den See gestürzt. Als ich begriff, wo ich gelandet war und was das bedeutete, bin ich sehr vorsichtig abgestiegen in einer Kehre, denn nur hier war Platz zum Absteigen und habe tief durchgeatmet. Der Blick war phantastisch, der Trail brandgefährlich … ich entschied weiter zu fahren … was mir einen total verkrampften Körper und echte Paniksituationen einbrachte. Die Steigungen wurden immer heftiger, die Kehren immer enger, Pausen waren quasi unmöglich. Außerdem trieb mich das Verlangen, dass hier hinter mich zu bringen. Und so radelte ich, wenn hier überhaupt von radeln die Rede sein kann  - nicht zu langsam, denn dann wäre ich umgekippt - hoch über dem See, fast angeschmiegt an den sich über mir erhebenden Berg über teils rutschigen, glitschigen Schotter. An extremen Stücken gab es eine Absperrung zum See hin, ansonsten war freier Fall jederzeit möglich (leider habe ich kaum Fotos, danach war mir einfach nicht). 15 KM können lang sein, sehr, sehr lang.

Nach jeder Biegung hoffte ich auf das Ende, aber nein, es ging höher und höher, bis ich endlich nach 3 Stunden den Peak erreichte und sich mir eine atemberaubende Landschaft auf einem Plateau eröffnet.Ob es sich für diesen Anblick gelohnt hat…nein….ich war steif wie Holz, jeder Muskel komplett übersäuert ob der Anspannung und die Panik, die Angst, die mich immer wieder ergriff habe ich bis heute in den Knochen, in den Muskeln und in meinen Gefühlen. Ich habe hier wirklich: survived … überlebt, von Genuss kann keine Rede sein. Just in dem Moment, in dem ich oben stand erreichte mich eine SMS aus Deutschland…der Absender ahnte nicht, in welcher Situation er mich erreichte.Die Abfahrt war dann eine breite Teerstrasse, immer hinunter, hinunter, hinunter…aber es war keine Entschädigung, es war pure Erleichterung!

Der Nachmittag dann: die Belohnung: mein ganzer Körper hatte den Streß gespeichert... ich in einem sehr schönen B&B in Kurow sollte er sich entspannen! Eine Traummassage- -Fullbody -  …wie sonst hätte ich am nächsten Tag weiter radeln können…?

Aber bis heute zieht sich bei mir alles zusammen, wenn ich an den Blick hinunter denke.

Nun wurde es beschaulicher in der Landschaft, ein nochmals extrem steiles Stück, aber ohne Gefahren, zwang mich zu schieben, aber meine Gastgeberin vom B&B sammelte mich kurz danach auf, weil ich in strömendem Regen verloren gegangen war. Dafür aber gab´s abends ein so dickes, zartes Steak bei ihr, das mich alle Mühen vergessen ließ. Die letzten 2 Tage radelte ich durch erblühenden Ginster, durch Tunnel in die nächst wärmere Ebene, vorbei an tausenden von Schafen, hier war quasi Ostern, Lämmer überall, bis ich schließlich am Ozean in Omaru landete.

Tiefe türkisfarbene See lag es vor mir, brandet an die Ufer und eine warme Brise ließ mich dann doch am Ende ziemlich stolz auf dem Podest stehen, das allen Trailradlern ihren Rahmen gibt.The little Blue, die kleinsten Pinguine der Welt, ein Ale im Pub und ein schöner Abschied von meinen Buddhisten rundeten diese Radreise mit gutem Ende ab.                                                                                   Good on You!

 

.....und schon am nächsten Tag nahm ich den Panorama-Express von christchurch nach Greymouth und startete auf dem West-Coast-Wildernesstrail

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Kommentare

Claudia & Oliver
Vor einem Jahr

Liebe Brigitte, dann warten wir mal voller Vorfreude auf deinen Biketour- Bericht. Du machst es ja spannend. Wir hoffen, dass es deinem Knie wieder besser geht?
Dir liebste Grüße aus dem Norden unter einer leichten Schneedecke.
Claudia und Oliver