Südsee: Marquesa Islands...die Rückeroberung der verbotenen Kultur

Veröffentlicht am 26. Dezember 2023 um 16:23

Ich besteige nach 2 Tagen Papeete und der Gelegenheit eine kleine Inselrundfahrt zu machen, die berühmte Aranui 5, ein Passagier und Frachtschiff, das uns durch die Südsee zu der unbekanntesten Inselgruppe, den 1400 Km nördlich gelegenen Marquesa Islands bringt. Alle Inseln in der Südsee sind durch Vulkane entstanden. Sie erheben sich aus dem Wasser spucken Gift und Galle und schleudern dabei so viel Lava in die Umgebung, dass Inseln entstehen. Das Ganze ist aber extrem schwer und so versinken sie nach und nach wieder im Pazifik. Alle Atolle, die wir heute kennen, sind ehemalige Vulkaninseln, die versinken und wenn nur noch die Ränder der Vulkane sichtbar sind, wird der Vulkankrater zu einer traumhaften Lagune, mit einem sie umgreifendem Streifen steinigen Landes, Atolle oder Motos genannt. Hier zu leben ist schwer, unwirtlich.

Einer der weltberühmtesten Wirtschaftszweige Tahitis, die Produktion der begehrten schwarzen Perlen, gibt auf vielen Atollen und Inseln Tahitis auf sogenannten Perlenfarmen, den Einheimischen Brot und Arbeit.Je perfekter eine Perle in Form und Farbe, desto teurer … wir reden hier von einer einzigen Perle von mehreren 1000€ bis zu einer ganzen Kette von sogenannten Fehlperlen, die irgendwie geformt sind, von 80€.

Unser 1. Stopp war das Atoll Fakarava der Tuamotu Islands.  Hier begegnen mir die ersten Haie, der Kindergarten an der Küste, hier knallt die Hitze so erbarmungslos, dass selbst Faktor 50 nicht reicht, der Äquator und das riesige Ozonloch fordern Opfer, hier bekomme ich den ersten Eindruck von einem solch kargen Leben.Die Lagunen aber sind der Hammer: tiefblau am Horizont wandelt sich das Wasser in immer hellere Töne je flacher das Wasser das Land berührt. türkis, hellblau, sanftes Grün, sandfarben…unsere Aranui ankert weit vom Ufer und wir flitzen in den Tenderbooten ans Ufer. Endlich schwimmen…oh, was ist das, eine Badewanne, erfrischend geht anders, das Wasser ist so heiß wie alles hier…da muss man sich gewöhnen. Die Anderen, wir sind 200 auf dem Schiff, schnorcheln, aber diese Erfahrung kommt bei mir erst viel später, dann aber sehe ich eine Unterwasserwelt, die ich niemals wieder vergessen werde.

Nach 4 Stunden geht’s zurück an Board und mit einen Seetag erreichen wir am 17.12. 23 die Marquesas. Ein vollkommen anderes Bild präsentiert sich uns, denn die Marquesas sind erst 2000 Jahre alt und sie sind hoch, schroff, saftig und trocken, grün und rostrot, von einer ganz eigenen Schönheit. Sie trotzen dem Pazifik, lassen das tiefblaue Wasser an ihren Rändern knabbern. Das Anlanden war schon für Entdecker wie Bougainville, Neyra und Cook ein Abenteuer. Nur über die kleinen, sich in den Inselköper einschneidende Buchten mit feinstem weißen Sand, ist ein Eindringen in diese Bollwerke der Natur möglich.

Es bieten sich uns unbeschreibliche Aus- und Einblicke, die Dörfer sind eher unspektakulär. Sie liegen meist gut beschattet an Buchten, zwei max. drei Ansiedlungen auf den sechs bewohnten der insgesamt 14 Inseln. Hier leben ca. 9500 Bewohner, die berühmtesten waren Paul Gauguin und Jaques Brel.

Der polynesische Legende nach entscheiden Mutter Erde und Vater Himmel diese versprengten Inseln zu einer einzigen Insel zusammen zu ziehen und auf ihnen ein Haus zu bauen. Und so steht jede Insel für einen Bauabschnitt, nur das mit dem Zusammenziehen nicht klappte…natürlich nicht…und deshalb bleibt das Haus der Marquesas ein Sinnbild, aus dem viele Mythen und Geschichten, viele Tänze und Gesänge, viele Schnitzereien, Palmwedelwerkzeuge und natürlich heilige Stätten, den Plätzen, den Tohua und den Häusern, den Marae entstanden. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde bewahren Tikis, Holzstatuen die überall im Kontext heiliger Orte und Plätze oder in Häusern zu finden sind. Neuerdings werden sie auch mannigfaltig für den Verkauf an Touristen in allen Größen geschnitzt.

Die Wanderung der Polynesier: 5000 BC kamen sie aus Richtung Mongolei über Borneo, den indonesischen Inseln und Fidschi in den pazifischen Raum. Von dort entdeckten sie 700 AD die Marquesas.  Weitere Stammesteile siedelten 800 AD sowohl im Norden, auf Hawai, als auch im Süden bis nach Neuseeland 1200 AD.

Die polynesische Kultur findet sich neben Tänten, Misik und Kunsthandwerk vor allem in der Kultur der Tikis, Standbilder, die die Verbindung zwischen Mensch und Natur, zwischen Himmel und Erde und die Schöpfung und das Leben selbst darstellt.Sie stehen auf den heiligen Stätten, in Dörfern und Häusern, allenorts,sie werden aus Stein oder Holz gefertigt.

Er gilt als Schutzpatron und Glücksbringer und wird als eine Art Görtenbild verehrt.

Eine Vielfalt an kulturellen und mythischen Formen und Gestalten, ein Halt für die Menschen, eine Gesellschaftsordnung, ein Regelwerk für soziales Miteinander.Bis 1768 die französischen Kolonialisten kamen und mit ihnen die katholischen Missionare. Sie sprachen um 1880 ein Kulturverbot aus und setzen dieses auch mit aller Gewalt durch. Alles, wirklich alles wurde von der marquesanische Kultur bis zur Unkenntlichkeit ausgelöscht. Was sie allerdings auch taten, sie entdeckten die Sprache der Marquesaner und setzten sie in Buchstaben um und so konnte Vieles aufgeschrieben werden, was sonst nur überliefert gewesen wäre. Vor 30 Jahren taten sich 3 Lehrer zusammen.

Die beobachteten und erlebten, wie die Bewohner der Marquesas immer mehr ihre Wurzeln und ihre Identität verloren, dem Alkoholismus und der Depression verfielen. Sie setzten sich zum Ziel die alte Kultur wieder zu entdecken und zu beleben, den Marquesanern ihre Kultur zurück zu geben und den alten Stolz und die Zusammenhänge, die sozialen Verbindungen und Verantwortlichkeiten wiederherzustellen und gründeten den Moto Hava, ein Kulturverein und Mitgliedern der Kommune der Marquesa Islands.

Zu diesem Gesellen hier gibt es eine Geschichte: Ich entdeckte ihn, aus Rosenholz kunstvoll geschnitzt, nicht poliert, wunderschön...ich verlor ihn, weil ich mich noch nicht eintscheiden konnte...

2 Tage später legte mir diese nette Marquesanerin ihn in die Arme...

mein Guide kannte jemanden, der jemanden kannte, der jemanden kannte... und so kam er doch zu mir und reiste in einem großen Paket nach Deutschland

 Sie suchten in den Häusern nach Überbleibseln alter Schriften und Liedtexten und fanden sie unter Dielen, hinter Wänden unterm Dach, verstecke Aufzeichnungen auf Palmblattpapier, sie ließen sich von den Alten erzählen, die noch Geschichten von den Eltern ihrer Eltern kannten, sie recherchierten in Archiven, denn die Missionare waren ja gründlich in Ihren Zerstörungen, sie archivierten alles. Sie besuchten Festivals in Tahiti und auf den Cook Islands, sammelten alles war sie irgendwo in Polynesien finden konnten…und begannen zu rekonstruieren. Komponierten ihre eigene Musik, eine wesentliche Rolle spielet dabei Bobby Holcomb, ein Haitianer, der den Tahitianern ihre Musik zurückbrachte und der später auf Huahine lebte, einer Insel, die zu der Inselgruppe: Inseln unter dem Wind der Gesellschaftsinseln, einer der 5 Inselgruppen Tahitis gehört.

Sie choreografierten Tänze, erlernten das Trommeln und vor allem deren Bau, entwarfen Kostüme und begannen die alten Lieder zu singen. Das Schnitzen lebte wieder auf dank eines Paters auf Fatu Hiva, eine der Inseln der südlichen Gruppe der Marquesas zugehören. Er sammelte, was er noch fand, heute kann man viele dieser Stücke in dem Museum für Holzschnitzerei auf Fatu Hiva bewundern. Ich habe mich hier sehr inspirieren lassen für zukünftige eigene Skulpturen.Das Kunsthandwerk erlebte eine neue Blüte, die Kunst der Papierherstellung, der Umgang mit Blumen und Gerüchen in der Brautnacht, ja und natürlich die Wiederherstellung, die Befreiung der versunkenen Tohua (Plätze) und Mareas  (Versammlungshäuser) aus den festen Klauen des Dschungels. Was muss das für ein Erlebnis gewesen sein, diese heiligen Stätten wieder zu entdecken.

Heute stehen hier wieder die großen ehrwürdigen Steintikis, die alle ihre Geschichten erzählen, die die Plätze zeigen, wo die Kinder schon ihre erste Tätowierung mit den Zeichen von Vater und Mutter bekamen.Die die Opferflächen zeigen, wo die begehrten Köpfe der Nachbartribes rollten und dann in Ehren gehalten wurde, damit der böse Geist, der durch die Enthauptung entwichen war, nicht den ganzen Tribe, der das Opfer getötete hatte, zerstörten würde. 

Das Matava´a O Te Fenua Enana, das Kulturfestival wurde in diesem Zusammenhang ins Leben gerufen und fand jetzt auf meiner Reise vom 16.-20.12.23 auf Nuku Hiva zum 14.mal statt. Alle drei Jahre werden die Menschen der Inseln aufgerufen ihre Kultur und ihr Handwerk dort zu präsentieren, manchmal werden Gruppen aus anderen Ländern, wie z. B. Papua-Neuguinea eingeladen. Alle drei Jahre richtet eine andere Insel der Marquesas dieses Festival aus.  

 

Klar, die Marquesaner waren auch Kannibalen, sie sind Polynesier, wie alle Tahitianer, wie die Maori auf Neuseeland, wie auch die Hawaianer, die Fidschianer, die Menschen auf Borneo. Sie stammen alle von den selben Wurzeln ab. Das lernte ich hier auf der Aranui 5 von Dr. Keo…. , einem Sprachwissenschaftler, der über die polynesischen Sprachen forschte und dabei die Wege und Bezüge erkannte. All das hat er uns auf dem Schiff so lebendig vermittelt, mit so viel Tiefe und Empathie, mit emotionaler Bewegtheit vor allem über die wiedergewonnenen Rituale der alten Spiritualität und Mythen. Er selber ist Haitianer, er sah auch bei seiner Forschung tief in die eigene Kultur, in seine eigenen Wurzeln. Ich bewundere die Marquesaner, dass sie so hartnäckig ihre Kultur wiederentdecken, vom Tod durch die katholischen französischen Priester sie wieder auferweckten. 

Heute leben in den Dörfern die Tänze und Gesänge im Alltag, schnitzen sie wieder, kennen sich mit Blumen und Pflanzen aus und haben alle ein Handy, Solarzellen auf dem Dach und ein Auto vor der Tür…egal wie groß die Insel ist, denn hier fährt sicher kein Bus.Eine Moderne, die alte Kultur entwickelt und integriert…nach einem langen Weg der Zerstörung. Hier kommt Kraft aus der Bevölkerung, der Stolz und das Herzblut. Die tahitianische und die marqesianische Musik, der Tanz und die Kunst sind verbunden mit den Seelen derMenschen, das spürt man, wenn man die Menschen erlebt, wenn sie sofort zu singen beginnen, wenn sie einen Trommelschlag hören oder sich in einem so geschmeidigen Hüftschwung bewegen, rhythmisch und mitreißend…still stehen geht irgendwie nicht. 

Und genau aus diesem Grund bin ich hierhergereist, an das andere Ende der Welt, um das Artfestival zu erleben, um den Menschen zu begegnen, um die Musik zu hören, um das Verschmelzen von Natur, Mensch und Spiritualität hautnah mit erleben zu dürfen.Drei Tage reisten wir mit der Aranui von Hafen zu Hafen, ankerten, gingen auf die Tohuas, in die Dörfer und wurden Zeuge von Tänzer/innen, berauschenden Kostümen, mit einer Trommelmusik, die durch Mark, Bein und Herz geht, mit Choreographien in denen 150 Tänzerinnen und Tänzer zwei Stunden und länger alten Geschichten folgten auf ihren tanzenden Füßen, mit ihren rasend schnell schwingenden Hüften, ihren nackten vor Schweiß glänzenden Oberkörpern, mit grazilen Handbewegungen, mit Oberkörpern die die Kraft in die Welt schleuderten, mit Stimmen die leise und zart, schreiend und beschwörend die Luft erzittern ließen, mit Kostümen die die Natur herauf beschwören, unvorstellbar berauschend. 

wiederentdeckte heilige Orte

Zeremonien, wie die Kavazeremonie, in der das Kava, eine Art alkoholisches-rituelles Getränk, als Hingabe und Ehrerbietung an die Häuptlinge, die Geister und die Ahnen, in jede Bewegung, in jeder Handreichung, in jedem Ton gereicht wird…eine Spiritualität am Ort des ältesten Maraes, unter Plamen auf den von Moos überwucherten, schon fast vergessenen alten Steinen, das es einem den Atem verschlägt.  Der Abende gehen in die Nacht über, der Mond ist fast voll, die Tanzgruppen sind fast wie in Trance und die Marqueseraner schauen zu…und wir auch.Durch Zufall sitze ich an einem Abend hinter den Gründern dieser Moto Hava Bewegung.

Sie singen mit alle, jedes Lied, jeden Ton…Gooseskin…Gänsehaut. 

Festivalstimmung

...im Erdofen gegartes Essen auf Bananenblättern serviert...manches liebte ich, manches verschmähte ich

An den folgenden Tagen reisen wir von Insel zu Insel,die alle anders sind. Mal grün, mal nass, mal rot, mal braun, mal Dschungel, mal Steppe, mal mit netten, mal mit grummeligen Guides.

Die Aranui 5 hatte noch einen weiteren, den eigentlichen Auftrag. Sie beliefert seit 40 Jahren die Marquesas mit Fracht aller Art, sozusagen die Nabelschnur zur Außenwelt.

Während wir in Kultur und Natur unterwegs sind, wird sie ent-und beladen, mal sind es Kühlcontainer, mal Holz, mal ein ganzer Bus, Gemüse, Fleisch, Mehl…eben alles, was man hier nicht selber produzieren kann. Und außerdem unterstützt sie das Festival und bringt das komplette Equipment: Stühle, Tribünen, Musikanlagen, Kochgeschirr, und ganze Tanz-und Gesangsgruppen kostenlos von Tahiti hierher und zurück.

 Ich schlendere durch Dörfer, trinke guten Kaffee, denn der ist auf der Aranui ungenießbar…fahre mit dem Rad an der Küste oder in organisierten Autotouren in die Berge und am Abend gabt es dann an Board erst einen Pina Cola da zur Happy Hour, dann das Dinner und gute Unterhaltungen und viel Spaß mit Menschen, die mir in diesen Tagen ans Herz gewachsen sind: aus den USA Alex und Clark, aus der Schweiz Edith und Dani und aus Berlin Gisela und Achim…die 150 Franzosen waren nicht so meine Welt. Und oh Wunder, keines dieser Paare hatte auch nur im Ansatz Probleme mit mir als Singelfrau…was machen die deutschen Spießerpaare bloß falsch, dass sie sich das Leben so schwermachen.

Wenn unsere schiffseigene Gruppe in Wallungen geriet, dann tönten die dumpfen schnellen Laute der Trommeln über das weite, dunkle Meer, hallten beim Ankern wieder von den steilen Klippen und versetzen mich jedes Mal in Begeisterung. 

Meine Kabine ist die kleinste 9 qm mit Bullauge, ganz unten, dafür schaukelt es nicht!

Zwei Wochen ein strammes Programm…ich war platt aber selig, wir nahmen Abschied mit Blumen im Meer für Wünsche und Träume im Abendlicht und der sich entfernende Marquesas. Unsere Combo trommelten und die Mädels unter uns Reisenden, die 2 Wochen unter Anleitung einer Marquesianerin das Tanzen geübt hatten, präsentierten sich mit Grazie, Temperament und Hingabe. Was für ein Ort mitten im Pazifik am anderen Ende der Welt.

 

2 Tage später nahm ich auch Abschied von den liebgewonnenen Mitreisenden aus Chicago…ob wir uns wiedersehen…Alexis und Clark…schön war’s mit euch. Ich werde den Pina und die Gespräche nicht vergessen. Und euch Gisela und Achim, euch rücke ich in Berlin auf die Pelle, da seid sicher!

...das Ende einer außergewöhnlichen Reise!

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Kommentare

Brigitte Juerjens
Vor 7 Monate

Ich freu mich über Meinungen von euch!

Brigitte Wießmeier
Vor 7 Monate

na gut, ich versuche es noch einmal.